Bericht Werntal Zeitung Flurgrenzwanderung 20.06.2019

WZ-Ausgabe 05.07.2019

Das germanische Becken und die Bärenjagd

Willi Albert begeisterte 60 Flurgrenzwanderer mit Geschichte und G'schichtli des Gänheimer Nordostens

Gänheim – Der Vereinsring hatte zu einer Begehung der nordöstlichen Flurgrenze mit Besichtigung der „Gänheim- oder Gänheimer Bank“ eingeladen. Über 60 Wander- und Geschichtsfreunde folgten dem Ruf und versammelten sich am Fronleichnamstag um 9 Uhr vor dem Gänheimer Feuerwehrhaus.

Bei der Begrüßung zeigte sich Vereinsringvorsitzender Bastian Weippert über die große Schar erfreut und übergab nach einigen organisatorischen Hinweisen den Stab sogleich an Willi Albert. Dieser ließ sich von der großen Resonanz beflügeln und lieferte eine Wanderführung erster Klasse ab. In keiner der 240 Minuten, die für die 8-Kilometer- Strecke benötigt wurden, kam Langeweile auf. Und der „Maroudiwoocha“, den Julian Göbel mit dem Traktor hinter den Wanderern dreinfuhr, diente lediglich dem Transport der Verpflegung. Für müde Wanderer wurde er nicht gebraucht.

Vom Startpunkt am Feuerwehrhaus ging es durch die 1978 gebauten Eisenbahn- und B26-Unterführungen den Ruppertzainter Berg hinauf, der 1933/34 vom damaligen „Reichsarbeitsdienst“ von Hand oben abgegraben und unten aufgefüllt wurde. Der „RAD“ war im Ostflügel des Pfründnerspitals in Arnstein untergebracht und marschierte täglich zur Baustelle. Die Ortsverbindung Gänheim-Ruppertzaint war in den 1950er Jahren zunächst ein Schotterweg. Dann wurde der Berg mit Betonplatten versehen und die ganze Straße 1967/68 asphaltiert. Auch die alte Trassenführung der B26 durch Gänheim mit den drei Bahnübergängen, dem alten Bahnhof im Osten und dem Bahnwärterhäuschen im Westen, in denen der „Tschik“, der Gerd und noch andere ihren Eisenbahnerdienst machten, waren Thema. Und dann war da noch das „Gschichtle“ jenes Ruppertzainters, der – wie einst Eulenspiegel – sein Fahrrad stets den Ruppertzainter Berg hinab schob, nachdem er einmal mit untauglichem Fahrgerät ungebremst in die geschlossene Bahnschranke gefahren war.


Ruppertzaint und seine Höfe

Der Weiler wurde 1286 erstmalig als „Ruprechtshayn“ beurkundet. Die letzten Grundherren waren die Freiherren von Würtzburg. 1848 erfolgte die Aufteilung der 600 Morgen Äcker, Wiesen und Wälder unter vier Familien. Am Eingang von Gänheim kommend liegt rechterhand ein landwirtschaftliches Anwesen von überregionaler Bekanntheit.

Willi Albert zitierte aus „Der Spiegel“- Ausgabe 19/1985 Gabriele Wittek, um die herum sich seinerzeit die Glaubensgemeinschaft „Universelles Leben“ aufbaute: „Mein nächstes Anliegen wäre ein Bauernhof“ sprach sie und die „Kosmobio-Nahrungs GmbH“ kaufte für 900 000 Mark ein Anwesen im Weiler Ruppertzaint, Gemeinde Gänheim bei Arnstein, mit 15 Hektar Feld und zwei Hektar Wald. Der Bauernhof trägt den Namen „Gut zum Leben“. Verkäufer war die Familie Kriebel, die ihn wiederum von Johann Juhasz übernommen hatte. Der Kriegsflüchtling hatte den Aussiedlerhof erbaut, ihn aber nicht dauerhaft halten können. Der „Jaksch“-Hof, an dem die Straße als nächstes vorbeiführt, ist Eigentum der Familie Thees. Der Dorfname rührt von ihrem Vorfahren Jakob Fischer. Fränkisch verballhornt war das der „Jaksch“ und seine Nachkommen folglich die „Jaksch“. Den angrenzenden Joa-Hof, aus dem die Mutter von Willi Albert stammt, kaufte 1889 Johann Georg Joa (1840-1930) aus Binsfeld mit 150 Morgen Feld für 30.000 Goldmark. Zins und Tilgung zahlten die Joas bis 1964, also 75 Jahre lang. Von der Inflation der Papiermark, die 1914 zum Weltkriegsbeginn eingeführt wurde, profitierten sie nicht, da ihre Schuld auf Goldmark lautete. Andererseits konnte Georg Anton Joa (1877-1965) in den Inflationsjahren 1922/23 seine Scheune für zwei Zentner Hafer, ein paar Pfund Butter und einen Schinken neu bauen. „Ein Schnäppchen“ würde man das heute nennen.

Dreschen mit der Dampfmaschine

Gänheim erhielt die elektrische Stromversorgung schon 1920, Ruppertzaint erst 1948. Bis dahin droschen die Ruppertzainter mit einer Dampflokomobile, die früh um zwei Uhr angeheizt wurde, damit um fünf Uhr das Dreschen begonnen werden konnte. Die Joas hatten einen stationären Rohöl-Deutz-Motor an der Scheunenwand stehen, womit sie über eine Transmission den Strohhäcksler, die Rüben-, die Schrotmühle und auch den Scheunenaufzug antrieben.

Eine Besonderheit des Weißenberger-Hofes war ein Dachreiter über den Schweineställen, in dem eine Glocke hing, die um 12 Uhr mittags zum „Engel des Herrn“ geläutet wurde. Diese Glocke spendete die Familie Weißenberger 1966 für das neu erbaute Leichenhaus. Seitdem läutet sie auf dem Gänheimer Friedhof als Totenglocke. Das älteste Ruppertzainter Haus von Beßler und Treutlein ist bis zum Kellergeschoß abgetragen.

Stehengeblieben ist eine von Bäumen umstandene Sandstein-“Skulptur“, die von von nicht wenigen Wanderern als stromloser „Öko-Kühlschrank“ identifiziert wurde. Seit 1911 wurden die Höfe über eine Leitung vom „ouwara Säala“ mit Wasser versorgt.

Im trockenen Sommer 2003 versiegte die Quelle zeitweise, so dass seit Mai 2009 die Versorgung über eine in den Ruppertzainter Berg eingepflügte Leitung von Gänheim aus erfolgt. Die Pumpen stehen im Feuerwehrhaus. Stadtrat Johannes Keidel konnte sich gut an die seinerzeit kontroversen Diskussionen erinnern.

Auf dem Rennweg zum Dreimärker

Von Ruppertzaint ging es weiter zur östlichen Gemarkungsgrenze an die Autobahn A7, die mit über 962 Kilometern die längste Autobahn Deutschlands ist. Die Teilstrecke Estenfeld - Werneck wurde im November 1966 eröffnet. Nach Durchschreiten der Flurweg-Unterführung weitete sich der Blick auf das Schweinfurter Land bis in die Haßberge und den Steigerwald. Direkt „vor der Nase“ aber lag die Gemarkung Zeuzleben, an deren Grenze entlang es nach Süden ging, und zwar auf dem „Rennweg“. Rennwege oder Rennsteige waren im Mittelalter für schnelle Nachrichtenübermittlungen durch Reiter bedeutsam und verliefen auf überschwemmungsfreien Höhen. Die begangene Grenze „trennt“ Gänheim von Zeuzleben und Mühlhausen, die Stadt Arnstein vom Markt Werneck, den Landkreis Main-Spessart vom Landkreis Schweinfurt und die Region Würzburg von der Region Main-Rhön. Der Grenzweg führt an den ertragreichen Quellenäckern und „Freygewannen“ vorbei in den Wald zum Grenzstein, dem Dreimärker. Dieser ist aus einem einzigen Sandsteinblock gearbeitet und hat die Gemarkungskürzel „GZ“ für Zeuzleben, „GM“ für Mühlhausen und „GG“ für Gänheim eingemeißelt.

Nach der Brotzeitpause im schattigen Wald führte Willi Albert die Grenzgänger am Mühlhäuser Holzbergwald vorbei über die heimische Flur zum Hühnerwäldchen bis nahe an den Autobahn-Rastplatz. An diesem denkwürdigen Ort mit idyllischem Blick auf die Gänheimer Silhouette kam es am 10. April 1945 zu einer dramatischen Szene. Dreizehn versprengte deutsche Soldaten wurden aus dem Tal von drei US-Panzern beschossen, zwei starben, darunter ein Achtzehnjähriger aus Oberfranken, die restlichen elf ergaben sich.

Aus dem germanischen Becken zur Bärenjagd

Die weitere Wanderung führte den Wernberg hinab zum ehemaligen Wecklein-Steinbruch. Dort sind die Gesteinsschichten des „Oberen Muschelkalks“, auch als Bänke bezeichnet, aufgeschlossen und als Wand zu sehen. Diese Bänke entstanden vor 240 Millionen Jahren als Ablagerungen auf dem Meeresgrund des „Germanischen Beckens“, eines Binnenmeeres, das sich von Schlesien bis ins Elsass erstreckte. Die „Gänheim-Bank“ war in den beiden großen Muschelkalk-Steinbrüchen Wecklein und Schraud besonders ausgeprägt zu sehen und bekam deshalb ihren Namen. In den nächsten Jahren wird sie aber im Wecklein-Steinbruch von herab rieselnden Schottersteinchen zunehmend verdeckt werden.

Aus dem erdgeschichtlichen Steinbruch heraus ging es vorbei an der zeitgeschichtlichen Autobahnbrückenbaustelle zu dem sagenumwobenen Ort, wo um das Jahr 1930 herum auf halbem Wege zur Aumühle die „Gänheimer Bärenjagd“ stattgefunden hatte. Der Arnsteiner „Reicherts- Beck“ kam damals mit seinem Einspänner von seiner Verkaufstour aus Mühlhausen zurück und berichtete am Dorfbrunnen in Gänheim dem Schmied Josef Riedmann (1884-1967) und umstehenden Jugendlichen von einem Bären an der Straße oberhalb der Aumühle. Die Bärenjäger bewaffneten sich, eilten zur Gefahrenstelle und stürzten sich auf das vermeintliche Untier. Aber es war nur die Pferdedecke vom Gaul des „Reicherts-Beck“, die auf die Hecke geweht war. Wochen später gab der Schmied dem Beck seine Decke zurück, reichlich gefüllt mit Pferdeäpfeln.

Ein rundum gelungener Gang

Letzte Station war die Aumühle, deren Geschichte bis ins Jahr 1400 zurückreicht. Sie war die leistungsfähigste Mühle im Werntal und ein Freihof des Würzburger Domkapitels. So ist es nicht verwunderlich, dass um 1700 der „Obere Hamüller“ der reichste Mann in Gänheim war. Im April 1956 beendete ein Brand die Geschichte der Mehlmühle. Als die Flurwanderer nach knapp vier Stunden zum Feuerwehrhaus zurückkamen, waren ihre Füße und Beine wohl etwas müde.

Ihr Geist aber war frisch und wach. Und während ihr Leib von der Freiwilligen Feuerwehr bestens mit Speis und Trank versorgt wurde, konnte sich ihre Seele sich an den Eindrücken einer rundum gelungenen Flurgrenzwanderung laben. Eine Unternehmung, die nach Fortsetzung ruft. Informierte Kreise berichten, dass die nächste Strecke schon in Vorbereitung ist.

albert.willi@live.de

30. Juli 2019

Stefan Wecklein